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Freitag, 17. Juli 2015

Das Dreier-Gespann

Es war ein Mal ein Mädchen, das trug einen Schatz in sich. Von außen nicht sichtbar - und doch so wertvoll. So ging das Mädchen einige Zeit, umgeben von purer Sonne.

Eines Tages aber verließ die Sonne das Mädchen. Und mit der Sonne ging auch der kleine, kostbare Schatz. Eine tiefe Dunkelheit nahm den Platz der Sonne ein, der Platz des Schatzes blieb einfach leer. Es war so schrecklich dunkel und so schrecklich leer. In dem Mädchen. Um das Mädchen herum.

Der Schmerz und die tiefe Traurigkeit die es erfüllten, das Mädchen wusste nicht wie sie das aushalten, ja wie es jemals weniger schmerzhaft und weniger traurig sein sollte.

Und doch wurde es.

Die Zeit nämlich, die Zeit kam dem Mädchen zur Hilfe und legte sich wie ein sanfter Schleier über das Mädchen, die Traurigkeit und den Schmerz. Manchmal waberte der Schleier der Zeit ein wenig im Wind, sodass Schmerz und Trauer wieder mehr Raum bekamen. Manchmal aber lag er ganz ruhig über dem Mädchen, dem Schmerz und der Traurigkeit und verbreitete so tiefe Ruhe und Frieden. Ruhe und Frieden unter, über und in den dreien.

Die Zeit vermochte sogar, dass der Schmerz irgendwann so viel Ruhe und Frieden in sich trug, dass er komplett darin aufging und verschwand.

Damit gab sich die Zeit aber noch nicht zufrieden. Sie wollte mehr. Mehr Frieden. Und mehr Ruhe. Für das Mädchen. So kamen noch zwei Gefährten hinzu, die die Zeit dem Mädchen zur Seite stellte. Die Zeit brachte Liebe und Dankbarkeit.

So trug es sich also zu, dass das Mädchen nun, unter ihrem Schleier der Zeit, ein Dreier-Gespann vor sich hatte. Ein Gespann, bestehend aus den drei starken Pferden Liebe, Dankbarkeit und Traurigkeit.

Nach einer gewissen Zeit entschied das Mädchen, dass es die Traurigkeit nicht mehr bei sich haben wollte. Die Zeit könne die Traurigkeit nun ebenfalls in Ruhe und Frieden auflösen, so wie sie es zuvor bereits mit dem Schmerz getan hatte.

Die Zeit tat wie ihr geheißen, jedoch nicht ohne sanft zu fragen ob sich das Mädchen denn sicher sei. Ja, es sei sich sicher. Also versuchte die Zeit, die Traurigkeit ebenfalls in Ruhe und Frieden aufzulösen.

Und sie schaffte es, die tiefe Traurigkeit verlor an Stärke. An Macht. An Kraft.

Nun geschah aber etwas, mit dem das Mädchen nicht gerechnet hatte. Denn mit der Traurigkeit wurden auch Liebe und Dankbarkeit immer kleiner. Mit der Traurigkeit verloren auch Liebe und Dankbarkeit an Stärke, Macht und Kraft.

Auf diese beiden aber wollte das Mädchen auf keinen Fall verzichten, waren diese beiden doch die Hüter ihres verlorenen Schatzes. Das Vermächtnis. Die Erinnerung. Nein, diese beiden wollte sie nicht verlieren.

So kam es, dass das Mädchen mit der Zeit haderte. Und haderte. Und haderte. Hätte die Zeit doch nicht... Es wusste nicht weiter, es hatte Angst die Liebe und die Dankbarkeit zu verlieren. Mit der Traurigkeit allerdings, mit der konnte sie gar nichts anfangen.

Nun trug es sich zu, dass eine Fee vorbei kam und das Mädchen hadern sah. Es fragte das Mädchen was los sei und ob es ihr helfen könne. Also erzählte das Mädchen die Geschichte. Die Fee hörte sich alles an und sagte dann: "Du darfst nicht der Zeit die Schuld geben. Sie tut was sie kann. Versuche einmal folgendes: Steig von deinem Wagen ab und setze dich auf eines der drei Pferde. Fühle seinen warmen Rücken. Seine Wärme. Seine Kraft. Seine Stärke."

Das Mädchen tat wie ihm geraten und stieg auf den Rücken des ersten Pferdes. Auf den Rücken der Dankbarkeit. Es fühlte den warmen Rücken der Dankbarkeit, seine Wärme, seine Kraft und seine Stärke. Aber ebenso fühlte es, wie die Traurigkeit wieder wuchs. Das Mädchen weinte und die Fee fragte was los sei. Das Mädchen erklärte es ihr, sagte, dass mit der Dankbarkeit auch die Traurigkeit wieder größer werde und an Macht und Stärke gewinne.

Die Fee sagte: "Nun versuch einmal folgendes: Steig auf den Rücken der Traurigkeit. Versuch es. Hab Vertrauen."

Auch dieses Mal folgte das Mädchen dem Rat der Fee und stieg auf den Rücken der Traurigkeit. Die Traurigkeit stieg, wurde größer, stärker und mächtiger. Das Mädchen schlang die Arme um den Hals der Traurigkeit und weinte in seine Mähne. Es weinte und weinte und weinte. Um ihren Schatz. Um ihren verlorenen, kostbaren Schatz.

Als die Tränen versiegten fühlte sich das Mädchen erschöpft, warm und wohl. Und voller Dankbarkeit und Liebe.

"Du hast ein Dreier-Gespann.", sagte die Fee. "Die Traurigkeit ist das Zug-Pferd, das, das ganz vorne eingespannt ist. Das ist aber nicht schlimm. Auch die Traurigkeit ist ein mächtiges, ein Herzens-Gefühl. Die Traurigkeit zeigt dir, wie sehr du deinen Schatz geliebt hast. Und wie sehr du ihn jetzt vermisst. Traurigkeit spürt man nur, wenn vorher an Stelle der Traurigkeit ein anderes mächtiges Herzens-Gefühl stand: Die Liebe."

Schließlich kletterte das Mädchen vom Rücken der Traurigkeit auf den Rücken der Liebe. Und es war sofort erfüllt von ihr. Von dem wohlig-warmen Gefühl der Liebe. Der Dankbarkeit. Und der Traurigkeit.

Das Mädchen versöhnte sich mit ihren drei Pferden. Als Einheit. Als Dreier-Gespann. Und mit der Zeit. Die Zeit nämlich, die begleitet sie weiterhin. Als wohlwollender Begleiter. Als sanfter Schleier.

So ziehen sie nun dahin, das Mädchen und ihr Dreier-Gespann. Ohne Kutsche. Ohne Distanz. Das Mädchen, mit ihrem Schatz im Herzen. Ganz nah bei ihren drei Pferden. Bei der Liebe. Der Dankbarkeit. Und der Traurigkeit. Auf ihrem Rücken. Von ihnen getragen. Unter dem sanften Schleier der Zeit.

Mit der tiefen Gewissheit: Alles war, ist und bleibt gut. Immer. 


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